Paralympics 2024 – aus Athletensicht

Ein Erlebnisbericht aus erster Hand. Eine Geschichte, die nur der Sport für jemanden schreiben kann, wenn man 15 – 20 Jahre fokussiert gearbeitet hat.

Die Vorbereitung war nahezu perfekt und wir hätten nicht ein einziges Training mehr machen können. Es ist sehr befriedigend, wenn man so zu Paralympics anreisen kann. Danke an meinen Trainer Christoph Peprnicek. Ich war zwar die letzten 2 Jahre auch öfter krank als normal, aber nur weil wir „All-In“ waren.

Die Ausgangssituation

6 Monate vorher buchte ich eine Trainingsunterkunft etwas außerhalb von Paris, um mehr Ruhe zu haben.
So verließ ich 2 Tage nach Ankunft wieder das Paralympics-Dorf. Leider schon mit den ersten Symptomen, Durchfall, Kopfschmerzen, leicht verschleimt, Schlafprobleme (in der Rennwoche 1,5kg verloren). Die 2 sehr harten Einheiten, die ich in der Rennwoche trainierte, gingen aber trotzdem sehr gut. Abseits und in den Tagen dazwischen fühlte ich mich aber nicht besonders. Covid stand im Raum, denn ich kenne persönlich keine Kopfschmerzen, außer ich habe Covid.

Die Trainingsunterkunft war mit diesem Background natürlich eine große Erleichterung. Natürlich gab es Zweifel und der „worst case“ war eingetreten. Krank kurz vor dem Wettkampf. Meine Freundin Barbara und mein Trainer waren eine sehr hilfreiche Stütze.
2 Tage vor dem Einzelzeitfahren musste ich aus organisatorischen Gründen zurück in Paralympics-Dorf. Dort wurde ich von der Team-Ärztin dann auf Covid getestet und bekam die Antwort: Positiv mit hoher Viruslast! Persönlich wollte ich es gar nicht wissen, aber zum Schutz der anderen Athleten gab es keinen anderen Weg.
3 Stunden später fand ich mich in Isolation in einem 14 Quadratmeter Hotelzimmer, 4 Kilometer vom Paralympics-Dorf entfernt, wieder. Offiziell konnte man mir den Start nicht verbieten und ich sah gesundheitlich keinen Grund, es nicht zumindest zu versuchen. Jeder wird verstehen, dass die Situation brutal war und die Unsicherheit hoch. Ich konzentrierte mich in dieser Woche auf 2 mentale Helfer, neben meinen anderen täglichen Anwendungen.

  • 1.) totale Akzeptanz: Ja ich habe Covid, aber ich kämpfe nicht dagegen, ich akzeptiere es! Das Kind ist in den Brunnen gefallen, aber es ist noch nicht ertrunken!
  • 2.) „alles wird GUT!“: Bis zu 20mal am Tage sagte ich zu mir selbst, teilweise vor dem Spiegel, diese einfachen aber sehr kraftvollen 3 Wörter. Offenherzig und mit Selbstvertrauen.

Danke an die Betreuung seitens des österreichischen Radsportverbandes / Paracycling-Betreuungsteam. Da ich keinen Kontakt zu den anderen Athleten mehr haben durfte und auch nicht die anderen Athleten gefährden wollte, hatte ich mit „Moni“ eine persönliche Chauffeurin und Betreuerin. Danke auch an das österreichische Paralympics Committee.

Alles wurde GUT!

Beim Aktivieren am Tag vor dem Einzelzeitfahren fühlte ich mich ganz OK und bin mit der üblichen Vorbereitung in den Wettkampf gegangen.
Wie seit 12 Jahren, betrat ich 20min vor dem Start „mein mentales Feld“ und 1min vor dem Start der letzte mentale Einstieg:

  • Wie spät ist es? – Es ist Jetzt!
  • Wo bin ich? – Ich bin Hier!
  • Wer bin ich? – Ich bin dieser Moment!

Also „ShowTime“ – und es gibt voll. Nach 1min, nach 5min, das ganze Rennen!
Wo Covid hin ist, ist mir egal, aber ich merkte nichts davon. Nach ¼ des Einzelzeitfahrens holte ich Rafal Wilk (POL) ein, da dachte ich mir: „So schlecht kann es nicht sein!“. In den nächsten 30min überholte ich noch einige weitere Athleten und erwischte alle Kurven nahezu perfekt. Auch gegen Ende des Rennens konnte ich noch guten Druck auf die Kurbeln aufbauen und konnte die volle Ausbelastung erreichen.
Im Ziel wäre ich fast ohnmächtig geworden und benötigte 5min um mich einigermaßen zu stabilisieren. Ich dachte nur: „cool wahrscheinlich trotzdem Top5“. Als man mir dann sagte, dass ich Silber gewonnen hatte, war ich schon „over the moon“. Nur 2 Sekunden!!! hinter Jetze Plat (NED), war dann fast surreal. Nach Rio und Tokio, wieder Silber im Einzelzeitfahren, ich habe es noch immer drauf! Ja es war knapp und wenn ich hinter Jetze Plat gestartet wäre … – nicht eine Sekunde verband ich es mit negativen Gefühlen. Das war gerade „Hollywood“, was mir gelungen war! Was mich persönlich vor allem befriedigt ist, dass ich mich seit Tokio wieder um 1 bis 1,5% in der Leistung steigern konnte und in Rio war ich noch 5% schwächer, was im Leistungssport eine Welt ist. Mit Jonas Van de Steene (BEL) konnte ich den Weltcupführenden 22sec hinter mir lassen und es war, dass im Vorhinein von mir angekündigte, Podium ohne Überraschungen.

Medaille #2

Über der Nacht zum Straßenrennen erholte ich mich sehr gut, mental war ich halt schon auf einer Wolke unterwegs. Ich ging tiefenentspannt an den Start, denn ich hatte schon „alles“ erreicht. Einmal sehen, ob mich Covid bei einem längeren Rennen „einholt“? Tat es nicht!
Mit dem starken Regen und den neuasphaltierten Straßen, war es ein Ritt auf Eierschalen. Mein Teamkollege Alex Gritsch und ich, waren die einzigen Athleten ohne Scheibenbremsen und so war es für uns noch anspruchsvoller. So wurde es auch ein Schlachtfeld, 3 der besten 6 Athleten haben das Rennen mit Unfällen weggeworfen, Jonas van de Steene (BEL) leider unverschuldet. Was ich bergauf heraushole, kann ich bergab härter verlieren. Attacke von Beginn an. Nach einem Viertel befand ich mich in einer 4 Mann Spitzen Gruppe. Noch vor der Halbzeit gelang es mir mit Attacken Jonas van de Steene (BEL) und Fabian Reher (SUI) abzuhängen, noch vor ihrem Unfall.
Das hieß, Jetz Plat (NED) und ich bildeten die Spitze. Da wir die zwei besten Zeitfahrer sind, sah es von da weg, schlecht für den Rest des Feldes aus.
Wir wechselten uns immer ab und zogen voll durch. Ich probierte 2-3 mal mich zu lösen, hatte aber keine Chance. Schon vor der letzten Abfahrt entschied ich in dieser nichts zu riskieren, um ja nicht das Rennen „wegzuschmeißen“. Ich fühlte einfach, dass Jetze Plat (NED) mir überlegen war, wir fahren seit 10 Jahren gegeneinander, wir kennen uns ganz genau! So wurde der letzte Kilometer zu einer Genussfahrt. Rafal Wilk nutze mit einer sehr starken Leistung die Gunst der Stunde und holte sich Bronze.

2 mal Silber wie in Tokio, hätte ich vorher nicht gedacht, auch wenn ich alles auf 2 mal Gold angelegt hatte. Denn warum nicht ICH!? Mit der Geschichte rundherum waren es für mich wirklich besondere Spiele. „Hollywood-Paralympics“ – in meinen Interviews konnte man es auch miterleben. Jetzt steht nur mehr DANKBARKEIT im Raum und das herrliche, befriedigende Gefühl, was Erfolg wirklich ausmacht: „ALLES gegeben zu haben!“

Ausblick

Aber es ist schon wieder soooo lange her, in 10 Tagen (24.09.2024) stehe ich am Start des Einzelzeitfahren bei der UCI Paracycling Weltmeisterschaft in Zürich. Los Angeles 2028? Sicher! Es macht mir nach wie vor große Freude, es erfüllt mich und es fordert mich heraus. Wenn ich vor dem Spiegel stehe, dann kann ich offenherzig sagen: „Ich lieb mich und ich lieb mein Leben“, kein Grund etwas zu ändern.

Tigger´s Reise ist noch lange nicht vorbei …

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