Herwig Reupichler war als Eva Wuttis Coachs und ÖLV-Manager in Valencia vor Ort und berichtet:
„Das gesamte Team Austria muss in Quarantäne, kein Österreicher darf starten!“ Hab ich diese Worte soeben geträumt oder hat das der Medical Chief vom „Maraton de Valencia“ soeben mir tatsächlich von Maske zu Maske zu verstehen gegeben? „Valentin Pfeil ist positiv, daher sind sie alle Kontaktpersonen, keiner verlässt sein Zimmer. Am Montag gibt es den nächsten PCR-Test!“ Samstag 19:30 Uhr, der Abend vor dem Marathonstart, wobei es für Eva, Valentin und Timon Theuer um nichts geringeres als die Qualifikation zur Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen gehen sollte.
Um den Alptraum hier ab zu kürzen: Nach ca. 30 minütigen, intensiv geführten Verhandlungen in meinem D-English und dessen Espan-English gelang es mir, die Quarantäne zumindest von Eva abzuwenden. Timon war Zimmerkollege von Valentin, daher konnte ich für ihn nichts mehr erreichen. Valentin war vor einem Monat an Corona erkrankt. Sein CT-Wert war für Österreichs Behörden „negativ“ für die in Spanien aber „positiv“.
Die Jungs waren verständlicherweise komplett zerstört, meine Wenigkeit zitterte wie ein „Kluppensackel“ und Eva war einfach komplett fassungslos und mit mehr als einem mentalen Streifschuss gerade noch so davon gekommen. Empathisch wie sie ist, konnte sie diese fatale Situation nicht so einfach abschütteln, auch wenn sie tapfer kämpfte. Jeder von uns hockte im Zimmer – Ausgangsverbot. Essen gab es ohnehin für alle in der „Blase Marathon Valencia“ nur in Säcken vor die Zimmertür gestellt. Kein gemeinsames Essen, kein gegenseitiges gut Zureden, Beruhigen, Aufheitern oder gar Umarmen wie es vor gewöhnlichen Rennen üblich ist, war möglich. Social Distancing tut weh.
Die physische Seite
Es fehlten einfach die wichtigen „Durchputzer“ wie ein 5km, 10km oder Halbmarathonlauf in den zwei Monaten vor dem Marathon. Coronabedingt wurden keine Wettkämpfe ausgetragen bzw. wenn wo was selten aber doch stattfand, war Eva entweder bei ihrer Familie in Spanien oder gerade in einem Trainingszyklus, wo ein Wettkampf gar nicht reinpasste. Die Form im Training war so gut wie noch nie, die benötigte Pace für das Olympialimit von 3:32 funktionierte einwandfrei, viele Kilometer konnten gesammelt werden. Im Training. Aber die Faustregel „Wettkämpfe sind das beste Training“ sollte sich bewahrheiten. Die Tempohärte fehlte einfach.
Die Psyche, der Countdown
„Es muss einfach alles passen.“ Und das tat es in diesem Jahr und vor allem in Valencia einfach nicht:
Dienstag vor dem Marathon die Hiobsbotschaft: Ein Verwandter im Umfeld von Eva war Corona positiv!
Donnerstag: Covid-19 PCR-Test: Um 09:00 der Test. Um 20:00 Uhr weder von Eva noch von mir ein Testergebnis im Posteingang. 21:00 Uhr: Eva ist negativ! 23:00 Uhr: noch immer kein Testergebnis für mich. Erst auf der Fahrt zum Flughafen Entwarnung: Auch mein Test negativ! Erleichterung, FFP2-Masken abnehmen.
Freitag: Anreise Wien – Paris – Valencia 07:00 bis 18:00 Uhr. Hoffen auf negatives Coronatestergebnis am Samstag. Gepäckstücke mit WK-Dress und WK-Getränken von Valentin und Timon sind nicht in Valencia angekommen. Angespannte Stimmung.
Samstag: Chaos im Hotel. Nichts funktioniert. Essen und Wasser(!) kommen zu spät oder gar nicht aufs Zimmer. Jeder hockt im Zimmer, darf nur einmal zum Training raus und einmal zum PCR-Test. Valencia präsentiert sich als wunderschöne Läuferstadt. Gepäck kommt nicht wie versprochen im Laufe des Tages ins Hotel. Ich check um 18:00 Uhr ein Taxi, ab zum Flughafen. Renne in die Abflughalle, Telefon läutet. „Gepäck ist im Hotel angekommen“. Ich lache. Alles gut, mit selben Taxi wieder zurück, Taxler freut sich. Ankunft im Hotel. Ich werde vom Chefmediziner der Veranstaltung mit den Worten empfangen: „Das gesamte Team Austria inklusive Ihnen muss in Quarantäne, kein Österreicher darf starten!“ Ich verhandle und bekomme Eva als einzige „frei“.
Der Marathon
Die Taktik lautete: Immer dem Pacemaker nach. Der spulte wie ein Uhrwerk Kilometer für Kilometer in 3:32 ab. „Ich fühlte mich bei der Pace echt locker, die anderen Damen in der Gruppe schnauften auch wesentlich härter als ich. Aber es trat ein, was ich befürchtet habe. Die ausgefallenen Vorbereitungswettkämpfe fehlten mir einfach um die nötigen Extrareize für die muskuläre Tempohärte zu erlangen. Bei Kilometer 15 ließ ich von der Gruppe „Olympia“ reißen. Dann lief ich noch bis zur Halbmarathonmarke, um zu meiner warmen Streetware zu kommen.“ Dies tat sie in 1:15:29 h, was nebenbei bemerkt österreichische Jahresbestleistung und auch persönliche Halbmarathonbestzeit bedeutete.
Als ihr Trainer trag ich natürlich die Verantwortung für Evas Vorbereitung und auch Form. Die Form, was auch durch die Herzfrequenzauswertung bestätigt wurde, war da. Aber um sie 100%ig abrufen zu können, muss auf diesem Niveau wirklich alles passen. Und das tat es in diesem Jahr, in dieser Woche und an diesem Wochenende leider einfach nicht. Einerseits wurde an diesem Tag Halbmarathonweltrekord gelaufen. Andererseits sieht man, wie hart es in diesem Jahr für die Athleten war, an dem Umstand, dass 65 Eliteathleten und Athletinnen angetreten waren um das Olympialimit zu laufen. Nur sechs (!) davon schafften es an diesem Tag.
Mentale Stärke
Aus welchem Holz Eva geschnitzt ist, wurde mir an diesem Wochenende wieder einmal vor Augen geführt. Trotz dieses katastrophalen Wochenendes konnte Eva mit mir im Flugzeug schon wieder scherzen und richtete den Blick bereits nach vorne. Um Mitternacht in Schwechat gelandet, schmiedeten wir über die Autobahn düsend schon wieder hochmotiviert weiter Pläne, um unser Ziel zu erreichen: Eva an die Startlinie von den Olympischen Sommerspielen in Tokio zu bringen. „Wenn es so einfach wäre, könnte es ja jeder machen!“ Mentale Stärke ist nicht in Phasen der Stärke zu glänzen, sondern sich nach Niederlagen zu erheben und weiter seine Ziele zu verfolgen. Hut ab vor Evas mentaler Stärke!